Die Vermessung der Welt
Die Vermessung der Welt zeichnet das parallele Leben zweier Giganten der deutschen Aufklärung nach. Wir folgen Alexander von Humboldt bei der Erfindung von Geologie und Meteorologie auf seinen spektakulären Expeditionen durch Südamerika und Russland und Carl Friedrich Gauß bei der Erfindung der post-euklidischen Mathematik und der Bewegung der Planeten von seinem Haus in Göttingen aus.
Der eine Wissenschaftler reist, als fürchte er die Heimat, der andere bleibt zuhause und blickt doch ins Innerste der Welt. Der eine ist liberal, der andere konservativ. Einer ist ein Liebhaber von Frauen, der andere knüpft verdächtige Beziehungen zu Männern. Sie sind an Genie und Nationalität gebunden. Und schließlich treffen sie sich auf dem Wissenschaftskongress 1828 in Berlin.
Diese Widersprüche sind bezeichnend für Kehlmanns Roman. In der Tat, hier hat er einen historischen Roman geschrieben, der Fakten mit der Freude eines großäugigen Kindes behandelt, der übertriebene Fiktionen beinhaltet. Mit einem grenzenlosen Sinn für Spaß und einer beeindruckenden Beherrschung seines Themas erforscht er wissenschaftliche und metaphorische Ideen von Gegensätzen, Parallelen und Distanzen und Wundern – vor dem Hintergrund des Universums – was ihre ultimative Bedeutung sein könnte. Es ist als Humboldts müde aus der russischen Steppe zurückkehrt, während er Gauß’ teleskopische Reise in den Weltraum betrachtet, dass er plötzlich nicht mehr sagen kann, wer von ihnen in die Ferne gereist war und wer von ihnen zu Hause geblieben war. Inzwischen hat Gauß Jahre zuvor erkannt, dass sich “alle parallelen Linien treffen”. Es ist der philosophische Kern eines täuschend cleveren Romans – in seinem Umfang unauffällig und kühn ehrgeizig. Mühelos löst Kehlmann Grenzen, Distanzen und alles Körperliche durch diese beiden Männer auf und wird doch nie überheblich oder skurril. Gauß und Humboldt sind sich bewusst, wie ihr einzigartiger Geist sich über menschliche Grenzen hinwegsetzt, und wie er sie doch auch gleichzeitig in menschliche Isolation zwängt. Genau diese Erkenntnis, die fast unausgesprochen bleibt, zieht sich wie ein melancholischer Faden durch das Buch und bildet seinen emotionalen Anker.